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Bürgerdienst: Eine unbegründete Einberufung

buergerdienst-eine-unbegruendete-einberufung. Im Bild ist ein Mann mit einer Schaufel in den Händen am Arbeiten. Die Kleidung lässt darauf schliessen, dass es sich nicht um eine professionelle Arbeitskraft aus dem Strassen- oder Gartenbau handelt.

Bürgerdienst: Eine unbegründete Einberufung. Die Volksinitiative „Für eine engagierte Schweiz (Service-citoyen-Initiative)“ fordert, die Wehrpflicht, die sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der militärischen Verteidigung und des Zivilschutzes orientiert, durch eine Verpflichtung zu ersetzen, welche auf der Tugend persönlichen Engagements beruht, unabhängig davon, in welchem Bereich es ausgeübt wird. Diese prinzipiell fragwürdige Idee würde in der Praxis dazu führen, dass sehr viele Menschen von ihrem Arbeitsplatz ferngehalten und mit Tätigkeiten betraut würden, die mit der freien Wirtschaft konkurrieren könnten.

Was soll diese Zwangsarbeit bringen?

Die Volksinitiative „Für eine engagierte Schweiz (Service-citoyen-Initiative)“ verlangt, dass jede Person mit Schweizer Bürgerrecht (für auslän­dische Staatsangehörige bleibt die Wahl offen) zu einem „Bürgerdienst“ verpflichtet wird, welcher der Allgemeinheit zugutekommt, sei es in Form von Militärdienst, Zivilschutz, Zivil­dienst oder eines anderen Milizengagements. Die derzeitige Wehrpflicht, die sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der militärischen Verteidigung und des Zivilschutzes orientiert, soll durch eine Verpflichtung ersetzt werden, die auf der Tugend persönlichen Engagements beruht, unabhängig vom Bereich, in dem es ausgeübt wird.

Konkret würde der aktuelle Artikel 59 der Bundesverfassung („Militär- und Ersatzdienst“) durch einen neuen Text mit dem Titel „Dienst zugunsten der Allgemeinheit und der Umwelt“ ersetzt, der erklärt, dass „jede Person mit Schweizer Bürgerrecht einen Dienst zugunsten der Allgemeinheit und der Umwelt leistet“ und dass „dieser Dienst in Form des Militärdienstes oder eines anderen gleichwertigen und gesetz­lich anerkannten Milizdienstes geleistet wird“. Es wird klargestellt, dass die Bestände der Armee und des Zivilschutzes garantiert werden sollten. Wie im derzeitigen System müssten Personen, die den vorgesehenen Dienst nicht leisten, eine Abgabe entrichten, es sei denn, sie fallen unter gesetzlich festgelegte Ausnahmen.

Die Initiative ist derzeit in aller Munde, da sie vor kurzem im Nationalrat mit grosser Mehr­heit (166 zu 19 Stimmen) abgelehnt wurde und dieser keinen Gegenentwurf vorlegen wollte. Zur Kritik von rechts gesellte sich auch Kritik von links: Die Sozialdemokratische Par­tei forderte in einem im Februar veröffentlich­ten Communiqué einen Gegenvorschlag, der auf eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit abzielt, „um mehr Möglichkeiten für ein Engagement in der Gemeinschaft zu schaffen“. Die Linke befürchtet, dass ein obli­gatorischer Bürgerdienst das Lohndumping fördern und zu „Tausenden von schlecht bezahlten Zwangsjobs“ führen könnte.

Zeit spenden, egal wozu

Natürlich ist es sinnvoll, ja sogar unerlässlich, dass sich Einzelne für ihre Gemeinschaft enga­gieren. Die Volksinitiative, um die es hier geht, ist jedoch in zweierlei Hinsicht problematisch. Erstens beruht sie auf der ebenso pawlowschen wie schädlichen Überlegung, dass alles, was wünschenswert erscheint, sofort obligatorisch erklärt und vom Staat durchgesetzt wird. Zwei­tens beruht sie auf der fragwürdigen Vorstellung, dass jeder Einzelne aus moralischen Gründen oder solchen der Gleichheit einen Teil seiner Zeit der Allgemeinheit widmen muss, wobei die Art der ausgeübten Arbeit kaum eine Rolle spielt.


In Wirklichkeit lässt sich die Einberufung von Bürgern nur rechtfertigen, um konkrete, besondere Aufgaben zu erfüllen, die für das Funktionieren der Gemeinschaft unerlässlich sind und die ohne gesetzliche Verpflichtung nur schwer erfüllt werden könnten; in unserem Gesellschaftsmodell sind dies in erster Linie die Verteidigung (Armee) und die Rettung (Zivilschutz, eventuell Feuerwehr). Personen, die sich nicht beteiligen, sei es aus Unfähigkeit oder schlichter Verweigerung, kann eine finan­zielle Entschädigung auferlegt werden, damit sie dennoch ihren Beitrag leisten; sie dürfen aber nicht zu anderen Aufgaben einberufen werden, die nicht zwingend einen solchen Einzug erfordern.

Auf dem Weg zu einer Schattenwirtschaft für Amateure

Abgesehen von dieser Grundsatzfrage muss man die Dinge auch aus praktischer Sicht betrachten. Der Bundesrat schätzt die jährliche Zahl der Schweizer Bürgerinnen und Bürger, die zu einem Bürgerdienst verpflichtet werden könnten, auf etwa 70‘000 (unter der Annahme, dass Ausländer nicht einbezogen werden). Die Armee und der Zivilschutz benötigen etwas mehr als 30’000 von ihnen. Wir hätten also fast 40‘000 Personen, die, ohne dass dies für eine Kernaufgabe erforderlich wäre, eingezogen und ihrem Arbeitsplatz – oder dem Arbeits­markt für diejenigen, die einen Arbeitsplatz suchen – entzogen würden. Der Bund müsste Erwerbsausfallentschädigungen in Höhe von schätzungsweise insgesamt 1,6 Milliarden Franken zahlen, doppelt so viel wie heute.

Diese Entschädigungen würden die nicht geleistete Arbeit in den Unternehmen nicht ersetzen. Ausserdem würde man, wenn man eine grosse Zahl von Personen mit anderen Aufgaben als der Verteidigung oder Rettung beschäftigen will, ihnen unweigerlich Arbeiten anvertrauen, für die sie einerseits nicht ausgebildet sind und die andererseits auch in einem normalen beruflichen Umfeld ausgeführt werden könnten. Den Unternehmen würde nicht nur ein Teil ihrer Arbeitskräfte, sondern auch ein Teil ihrer Arbeit entzogen – zugunsten öffentlicher Körperschaften, die eine Form von Schatten­wirtschaft auf Amateurniveau unterhielten, welche nicht der Wirtschaft, sondern der „Beschäftigung“ der Bürgerinnen und Bürger diente.


Der Vorschlag, einen obligatorischen Bürger­dienst zu einem pseudopädagogischen Zweck einzuführen, ohne dass dies spezifischen Bedürfnissen entspricht, gehört daher in die (grosse) Schublade der falschen guten Ideen. Dieser Vorschlag ist nicht einmal bestechend, wenn man nach der schwachen Unterstützung urteilt, welche die Initiative im Nationalrat erhalten hat. Es ist zu hoffen, dass dies auch im Ständerat und zu gegebener Zeit auch beim Volk und in den Kantonen der Fall sein wird.

Weiterführende Informationen zum Beitrag “Bürgerdienst: Eine unbegründete Einberufung

Medienmitteilung BR 16.10.2024 – Botschaft zur Volksinitiative «Für eine engagierte Schweiz»: Der Bundesrat empfiehlt Ablehnung ohne Gegenentwurf




Pierre-Gabriel Bieri,
Responsable politique institutions et sécurité

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