- Altersvorsorge, Parlament, Politik - Pierre-Gabriel Bieri
Beitragsjahre anstelle eines gesetzlichen Rentenalters
Die Idee, auf ein fixes Rentenalter zu verzichten und stattdessen die Beitragsjahre zu berücksichtigen, wird vom Parlament aufgegriffen. Dieser Paradigmenwechsel würde eine Strukturreform der beruflichen Vorsorge „in Gang setzen“: Arbeitnehmer, die ihr Berufsleben früh begonnen haben, bekommen eine substanzielle Gegenleistung.
Die Idee entstand aus den Ruinen der Vorsorge 2020…
Im März dieses Jahres reichte Nationalrätin Céline Amaudruz eine parlamentarische Initiative (24.408) ein mit dem Titel „Ersatz des Konzepts des Rentenalters durch jenes der Anzahl Beitragsjahre. Ein geeigneter Schritt hin zu einem sozial gerechteren Rentensystem“. Der Text ihrer parlamentarischen Initiative bezieht sich ausdrücklich auf das Modell, das von Centre Patronal ausgearbeitet und vorgeschlagen wurde. Die Nationalrätin argumentiert, dass „nicht alle Berufe vergleichbar sind, was die Beschwerlichkeit der Tätigkeit und deren langfristige körperliche Folgen betrifft“ und dass die Verknüpfung mit den Beitragsjahren „den Vorteil hat, dass Arbeitern, die ihre Tätigkeit früher aufgenommen haben, was im Allgemeinen mit beschwerlicheren Tätigkeiten in Verbindung gebracht werden kann, bereits früher den Bezug einer vollen AHV-Rente ermöglicht wird“.
Frau Amaudruz gebührt der Dank, dass sie einen Vorschlag der Privatwirtschaft aufnimmt und ihn im Parlament thematisiert. 2017 unterstützte das Centre Patronal zusammen mit den anderen Arbeitgeberorganisationen in der Westschweiz die Reform „Vorsorge 2020“, die nicht frei von Mängeln war, aber den Vorteil hatte, nach zwanzig Jahren der Blockade und des Stillstands einen ersten Schritt in die richtige Richtung zu machen. Dies in einem Zeitpunkt, als die Ausgaben der AHV bereits begannen, ihre Einnahmen zu übersteigen. Ein weiterer Vorteil war, dass die Reform mit der ersten und zweiten Säule koordiniert wurden. Diese hoffnungsvolle Reform scheiterte jedoch in der Volksabstimmung. Es wurde deutlich, dass erstens eine umfassende Reform der Sozialversicherungen und insbesondere der AHV dringend notwendig war, um eine nachhaltige Finanzierung zu gewährleisten und dass zweitens eine solche Reform politisch nur realistisch war, wenn es gelang, die Kluft zwischen Links und Rechts zu überwinden. Drittens wuchs die Einsicht, dass die Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters der wichtigste Weg zur Stabilisierung des Verhältnisses zwischen Erwerbstätigen und Rentnern und gleichzeitig auch der Hauptgrund für die politische Konfrontation war. Die Idee, mit dem Konzept des gesetzlichen Rentenalters zu brechen, war daher naheliegend.
… und heute ist sie für einen Neuanfang notwendig
Seit diesen ersten Überlegungen vor sieben Jahren konnten die Finanzen der AHV durch zusätzliche Abgaben (Lohnbeiträge und Mehrwertsteuer) und eine Verlangsamung der Ausgaben (schrittweise Erhöhung des Rentenalters der Frauen) vorübergehend wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Angesichts der demografischen Entwicklung bieten diese kosmetischen Reformen jedoch nur eine kurze Verschnaufpause – noch kürzer seit der Abstimmung für eine 13. AHV-Rente. Die Motion 21.3462, die 2021 von beiden Kammern angenommen wurde, fordert den Bundesrat auf, „dem Parlament bis zum 31. Dezember 2026 eine Vorlage zur Stabilisierung der AHV für die Zeit von 2030 bis 2040 zu unterbreiten“.
Eine solche Reform muss eine unvermeidliche Erhöhung der Abgaben einerseits und eine nunmehr ernsthafte Kontrolle der Kostenentwicklung andererseits miteinander verknüpfen und gleichzeitig eine Blockade durch Parteien oder das Volk vermeiden. In diesem Zusammenhang braucht es einen Paradigmenwechsel, der das gesetzliche Rentenalter durch Beitragsjahre ersetzt. Ein solcher Ansatz ermöglicht es, eine echte Debatte über strukturelle Sanierungsmassnahmen zu eröffnen, ohne die aktuelle Situation von Personen zu verschlechtern, die vor dem Erreichen des 21. Lebensjahres begonnen haben zu arbeiten.
„Ein solcher Ansatz ermöglicht es, eine echte Debatte über strukturelle Sanierungsmassnahmen zu eröffnen, ohne die aktuelle Situation von Personen zu verschlechtern, die vor dem Erreichen des 21. Lebensjahres begonnen haben zu arbeiten.“
Eine wichtige Gegenleistung für den Einbezug in eine Strukturreform
In der aktuellen Gesetzgebung wird das gesetzliche Rentenalter auf 65 Jahre festgelegt, d.h. 44 Jahre nach Beginn der Beitragspflicht (die am 1. Januar nach Vollendung des 20. Lebensjahres beginnt). Künftig sollen auch frühere Beitragsjahre (ab dem 1. Januar nach Vollendung des 17. Lebensjahres) hinzugezählt werden unter der Voraussetzung, dass sie einer echten Beschäftigung entsprechen. Bei einer Mindestanforderung von 44 oder sogar 45 Beitragsjahren könnten die Betroffenen – die häufig in körperlich anspruchsvollen Berufen arbeiten – einen früheren Renteneintritt als heute beanspruchen. Dies wäre die wichtige Gegenleistung, die es ermöglichen würde, eine politische Diskussion über die grösseren Anstrengungen, die von anderen Arbeitnehmern eingefordert werden müssen, zu lancieren; Arbeitnehmer, die ihre berufliche Laufbahn später und unter vielleicht einfacheren Bedingungen begonnen haben. All dies muss in den Rahmen eines Gesamtprojekts integriert werden, das auch neue Abgaben umfasst, um die finanzielle Bürde auf mehrere Schultern zu verteilen.
Mit diesem Paradigmenwechsel könnten festgefahrene Positionen der einen oder anderen Seite in Bewegung gebracht werden, um Kompromisse zu ermöglichen. Das Ziel ist eine Strukturreform der Altersvorsorge, die ihre beiden Hauptsäulen AHV und berufliche Vorsorge intelligent koordiniert und die Finanzierung der Renten langfristig sichert.
Weiterführende Informationen zum Artikel Beitragsjahre anstelle eines gesetzlichen Rentenalters
Martin Kuonen, 22.05.2024: Bei der grossen Reform den Turbo zünden, nicht bei der 13. AHV-Rente
Pierre-Gabriel Bieri, 07.03.2024: Altersversicherung: an die Arbeit!