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Freihandel, ein Schweizer Wert

Freihandel- ein Schweizer Wert. Auf dem Bild ist BR Guy Parmelain während der Ansprache bei Centre Patronal in Paudex zu sehen.

Freihandel, ein Schweizer Wert. Die Schweiz setzt seit über sechzig Jahren auf die Entwicklung ihres internationalen Handels durch ein bemerkenswertes Netz von Freihandelsabkommen, die sowohl zu ihrem Ansehen als auch zu ihrem Wohlstand beitragen. Es ist bedauerlich, dass sich in den letzten Jahren auf der Grundlage ideologischer Reflexe eine Atmosphäre des Misstrauens und des Widerstands entwickelt hat.

Ein Netzwerk von Abkommen, das sich ständig weiterentwickelt

Die Schweiz hat eine lange Tradition in der Freihandelspolitik. Sie war 1960 Gründungsmitglied der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), deren Hauptziel die Abschaffung der Zölle auf Industrieprodukte zwischen den Mitgliedern ist. Im Jahr 1972 unterzeichnete die Schweiz ein erstes Freihandelsabkommen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die später zur Europäischen Union wurde; dieses Abkommen ist bis heute in Kraft. Seitdem hat die Schweiz ein Netz aus 33 Freihandelsabkommen mit 43 Ländern auf der ganzen Welt geknüpft. Viele dieser Abkommen wurden im Rahmen der EFTA geschlossen, während andere rein bilateral sind und die eigenständige und proaktive Position der Schweiz im internationalen Handel unterstreichen.

Die Nachrichten in diesem Bereich werden vom Abkommen zwischen der EFTA und Indien beherrscht, das diesen Frühling nach sechzehnjährigen Verhandlungen (!) unterzeichnet wurde, aber auch von der Aussicht auf eine Erweiterung des bilateralen Abkommens zwischen der Schweiz und China, das seit zehn Jahren in Kraft ist. Die Modernisierung des EFTA-Chile-Abkommens, die Anfang dieses Jahres angekündigt wurde, fand in den Medien wenig Beachtung, während die Verhandlungen mit den Mercosur-Ländern (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay), die 2019 fast abgeschlossen waren und dann ausgesetzt wurden, nur mühsam wieder aufgenommen wurden. Vor drei Jahren war es ein Abkommen mit Indonesien, das für viel Aufsehen sorgte: Es wurde mit einem Referendum bekämpft und schliesslich in einer Volksabstimmung mit einer überraschend knappen Mehrheit von 51% angenommen.

Die geringe Unterstützung hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Vor nicht allzu langer Zeit wurden Freihandelsabkommen, die die Handelsschranken (Zölle oder andere Hindernisse) für zahlreiche Produkte abschaffen oder gegenseitig senken, einstimmig als wesentliche Trümpfe für unseren Wohlstand und als Pfeiler einer Schweizer Wirtschaft angesehen, die weitgehend ohne natürliche Ressourcen auskommen muss und daher vom Ausland abhängig ist, aber in der Lage ist, Produkte mit hoher Wertschöpfung zu exportieren.

Eine Ära des Protests

Diese Überzeugung scheint heute zu bröckeln. Unter dem Einfluss bestimmter politischer Strömungen wird der Freihandel als Feind des lokalen Handels bezeichnet und nicht mehr als dessen Ergänzung. Er wird beschuldigt, den internationalen Verkehr unnötig anwachsen zu lassen, die Umwelt zu zerstören, die Übernutzung natürlicher Ressourcen und die Ausbeutung der lokalen Bevölkerung zu verursachen. NGOs fordern, dass jedes Abkommen mit Garantien für bestimmte westliche ökologische oder soziale Standards einhergehen muss, die die Länder, mit denen wir Handel treiben wollen, „weiterentwickeln“ sollen. Wenn Abkommen in diesem Bereich innovativ sind und solche Garantien beinhalten (mit Indonesien, mit Indien), werden diese immer als unzureichend angesehen und die betreffenden Abkommen werden infrage gestellt oder sogar bekämpft.

Angesichts dieser Widerstände kann man Bundesrat Guy Parmelin dankbar sein, dass er den Weg des Freihandels beharrlich verteidigt. Als er auf Einladung von Centre Patronal in Paudex weilte, lobte er insbesondere den Erfolg des Abkommens mit China, das innerhalb von zehn Jahren eine Steigerung der Schweizer Warenexporte (mit Ausnahme von Gold) um 74% ermöglicht hat. Er versicherte den Anwesenden auch, dass die Palmölimporte, die bei der Ratifizierung des Abkommens mit Indonesien die grössten Befürchtungen hervorgerufen hatten, heute nur etwa 30 Tonnen pro Jahr betragen! Allgemeiner betonte er, dass die Schweizer Wirtschaft, um auf internationaler Ebene bestehen zu können, auf Handelsbeziehungen angewiesen ist, die einen einheitlichen Rahmen und einheitliche Regeln einhalten, was das Ziel von Freihandelsabkommen ist. Er wies auch darauf hin, dass der bilaterale Zugang zu ausländischen Märkten auf der Grundlage langfristiger Beziehungen dazu beiträgt, eine kostengünstige Handelspolitik und ein vielfältiges Produktangebot zu gewährleisten.

Ein pragmatischer statt ideologischer Ansatz

Man könnte hinzufügen, dass in einer Welt, die wieder polarisiert und konfliktreich geworden ist, die Diversifizierung unserer Handelsbeziehungen eine neue Bedeutung erlangt. Es geht nicht mehr nur darum, unsere Exporte zu steigern, sondern auch darum, wirtschaftliche Absatzmärkte oder – umgekehrt – Versorgungsquellen zu sichern. Hinzu kommt, dass der Handel, obwohl er auf Wettbewerb beruht, sich im Laufe der Geschichte auch oft als ein Faktor zur Entspannung der internationalen Beziehungen erwiesen hat.

Wir dürfen nicht vergessen, woher unser Wohlstand kommt. In dem zwangsläufig unvollkommenen Kontext des internationalen Handels muss die Schweiz ihren internationalen Handel weiter ausbauen und dabei auf einen liberalen und pragmatischen statt auf einen ideologischen Ansatz setzen.

Weiterführende Informationen zum Beitrag “Freihandel, ein Schweizer Wert“:

Staatssekretariat für Wirtschaft SECO: Aufhebung Industriezölle und Freihandel

Schweizerischische Gewerbezeitung, 20.09.2024, Magdalena Martullo-Blocher: Chance Freihandel – auch für das Gewerbe

Die Volkswirtschaft, 04.12.2024, Thomas A. Zimmermann: Wie die Schweiz vom Abbau der Industriezölle profitiert



Pierre-Gabriel Bieri,
Responsable politique institutions et sécurité

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