- Parlament, Politik, Wirtschaft - Pierre-Gabriel Bieri
Familienergänzende Kinderbetreuung: keine Bundes-Aufgabe
Familienergänzende Kinderbetreuung: keine Bundes-Aufgabe. In diversen Kantonen wurden verschiedene Angebote eingeführt, um Familien bei der Suche nach Krippenplätzen und deren Finanzierung zu unterstützen. Diese an die lokalen Gegebenheiten angepassten Systeme können bei Bedarf weiterentwickelt und verbessert werden. Eine Intervention des Bundes, um ein einheitliches, insgesamt teureres System auf Kosten der Arbeitgeber durchzusetzen, ist daher unnötig und abzulehnen.
Ein legitimes Anliegen, eine problematische Intervention des Bundes
Für Familien, in denen beide Elternteile berufstätig sind, bedeutet die Suche nach einem Krippenplatz für ihre Kinder oftmals nicht nur einen Härtetest, sondern auch eine nicht unerhebliche finanzielle Belastung. Diese Sorge wird von der Wirtschaft insofern geteilt, als dass eine der Antworten auf den Arbeitskräftemangel gerade darin besteht, alle Eltern zur Erwerbstätigkeit zu ermutigen. Unternehmen, die dazu in der Lage sind, eröffnen Kindertagesstätten. Subsidiär müssen die Gemeinden und Kantone tätig werden – oft mit Hilfe der Privatwirtschaft. Es gibt eine Vielzahl von Lösungen, die auf die lokalen Bedürfnisse zugeschnitten sind: Kinderzulagen, spezielle Steuerabzüge oder die Subventionierung der familienergänzenden Kinderbetreuung. Der Kanton Waadt beispielsweise hat eine Stiftung für die Tagesbetreuung von Kindern (Fondation pour l’accueil de jour des enfants, FAJE) eingerichtet.
Dieses grundsätzlich legitime Anliegen verleitete einige eidgenössische Parlamentsmitglieder dazu, daraus abzuleiten, dass der Bund unbedingt eingreifen müsse. So entstand Anfang der 2000er Jahre ein Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung (KBFHG). Dieses Gesetz war ursprünglich für eine Dauer von acht Jahren angelegt, mit dem Ziel, die damals aufkommenden Initiativen der lokalen Behörden in Kantonen und Gemeinden zu unterstützen. Wie zu erwarten war, haben sich die Begünstigten an den Geldsegen des Bundes gewöhnt. Entsprechend wurde das Förderprogramm vom Parlament bereits fünfmal verlängert. Die sechste Verlängerung ist für 2026 vorgesehen.
Aktuell schlägt der Bundesrat angesichts des notwendigen Sanierungsbedarfs der Bundesfinanzen vor, auf Bundesbeiträge für familienergänzende Kinderbetreuung zu verzichten und erinnert daran, dass es sich hierbei um eine kantonale Aufgabe handelt. Der Bundeshaushalt würde dadurch um 800 bis 900 Millionen Franken pro Jahr entlastet.
In der Zwischenzeit hat die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats eine parlamentarische Initiative (21.403) eingereicht, die genau in die entgegengesetzte Richtung geht und ein definitiv in einem Bundesgesetz verankertes Förderinstrumentarium fordert.
Eine neue Zulage (die der Bund nicht bezahlen wird)
Diese parlamentarische Initiative befindet sich nun in den Mühlen des Parlaments. Der aktuelle Entwurf, der von der gleichnamigen Kommission des Ständerats überarbeitet wurde, sieht vor, im Bundesgesetz über die Familienzulagen eine neue „Betreuungszulage“ für jedes institutionell betreute Kind bis zum Alter von acht Jahren einzuführen. Der Betrag würde 100 Franken pro Monat betragen und für jeden halben Tag der Betreuung um 50 Franken erhöht werden. In Bezug auf die Finanzierung wurde eine schlaue Lösung gewählt: Sie belastet den Bundeshaushalt nicht, da die Familienzulagen von den Arbeitgebern bezahlt werden…
Niemand (ausser dem Bundesrat, wohlgemerkt) scheint sich zu fragen, ob ein Eingreifen des Bundes in diesem Bereich angebracht und angemessen ist.
Zunächst gibt es ein institutionelles Problem: Der Bund darf nur in den Bereichen tätig werden, die ihm ausdrücklich von der Bundesverfassung zugewiesen werden. Gemäss der Verfassung ist es jedoch nicht vorgesehen, dass sich der Bund um den Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung kümmert. Dies hat einen guten Grund: Es handelt sich hierbei um eine sehr lokale Aufgabe, die je nach Region unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen muss und sich daher nicht für einen Zentralisierung eignet.
„Die Arbeitgeber werden sich nicht zweimal zur Kasse bitten lassen: Ein neues Zulagensystem auf Bundesebene würde zur Abschaffung der kantonalen Systeme führen.“
Arbeitgeber wollen nicht zweimal zur Kasse gebeten werden
Zweitens besteht das Problem der Redundanz, da die Gemeinden und Kantone bereits in diesem Bereich tätig sind – mit einer Freiheit, die es ihnen ermöglicht, vielfältige und der Situation angepasste Lösungen zu implementieren. Bei den Subventionen für Betreuungsplätze liegen die Kantone Zürich und Waadt weit vorne, gefolgt von Bern und Basel. In den meisten Kantonen der Romandie wurden Stiftungen oder andere Strukturen eingerichtet, um Familien zu unterstützen. Eine Vereinheitlichung, von der einige Bundespolitiker und Technokraten träumen, würde insgesamt viel mehr kosten und es sei daran erinnert, dass ein erheblicher Teil der Kosten schon heute durch die Arbeitgeber getragen wird. Werden die Arbeitgeber bereit sein, zweimal zur Kasse gebeten zu werden? Sicherlich nicht, und ein neues Zulagensystem auf Bundesebene würde zwangsläufig zur Abschaffung der kantonalen Systeme führen. Diese existieren nicht nur bereits, sondern funktionieren auch.
Abgesehen von diesen grundsätzlichen Überlegungen ist auch anzumerken, dass der aktuelle Entwurf der Kommission des Ständerats eine wahnwitzige Bürokratie erfordern würde, um nicht nur die Anmeldung der Kinder in dieser oder jener Krippe, sondern auch die tatsächliche Abrechnung der Betreuungshalbtage zu überprüfen.
Es ist Sache der kantonalen Politik, zu beurteilen, was getan werden kann und muss, um Familien zu helfen. Es wäre wünschenswert, dass sich das eidgenössische Parlament vorzugsweise um die zahlreichen hängigen Dossiers auf Bundesebene kümmert.
Weiterführende Informationen zum Beitrag “Familienergänzende Kinderbetreuung: keine Bundes-Aufgabe”:
Bundesamt für Sozialversicherungen BSV: Familienergänzende Kinderbetreuung