- Arbeitsmarkt, Politik, Wirtschaft - Thomas Schaumberg
Fachkräftemangel: KMU sind stärker betroffen
Fachkräftemangel: KMU sind stärker betroffen. Nahezu alle Branchen klagen derzeit über einen akuten Mangel an Arbeitskräften. Eine neuartige Studie hat erstmals über drei Millionen Online-Stelleninserate auf deren Vakanzdauern analysiert. Die Ergebnisse ermöglichen bessere Aussagen zu den Herausforderungen von Branchen, Regionen und sogar einzelnen Berufen. Wirtschaft und Politik sind aufgefordert, mit lösungsorientierten Massnahmen dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Ursachen für den Fachkräftemangel
Viele Schweizer Firmen haben grösste Mühe mit Stellenbesetzungen. Der schon länger beklagte Fachkräftemangel hat sich noch einmal verschärft. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor sehr niedrig: Ende Oktober 2023 waren 93’563 Arbeitslose bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) eingeschrieben. Die Arbeitslosenquote verharrte bei 2,0 Prozent. Auf der anderen Seite stehen gemäss einer Auswertung des Bundes 125’000 offene Stellen.
Wie kam es zu dieser Knappheit an qualifizierten Arbeitskräften? Einige Ursachen für den Arbeitskräftemangel mögen eher kurzfristiger Natur sein, wie zum Beispiel der enorme personelle Nachholbedarf in der Luftfahrtbranche nach der Corona-Pandemie. Das ändert nichts an der Tatsache, dass sich der demografische Faktor mit der fortschreitenden Pensionierung der sogenannten „Babyboomer“ von Jahr zu Jahr verstärken wird. Allein innerhalb der nächsten zehn Jahre werden rund 300’000 Arbeitskräfte fehlen, dies unter optimistischen Annahmen einer moderaten Zuwanderung und einer effizienten Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials.
Vakanzdauer als Mangelindikator
Um den Fachkräftemangel in der Schweiz besser zu verstehen, hat eine vom Schweizerischen Arbeitgeberverband in Auftrag gegebene neue Studie untersucht, welche Stellenprofile besonders lange unbesetzt bleiben. Für die Studie haben die Autoren rund 3,1 Millionen Online-Stelleninserate ausgewertet, die zwischen 2018 und 2021 in der Deutsch- oder der Westschweiz publiziert wurden. Die Daten decken nahezu alle Online-Stelleninserate in jener Periode ab. Die Dauer der Vakanzen gilt als aussagekräftiger Mangelindikator. Wenn also wenige Stellensuchende auf viele offene Stellen treffen, bleiben diese überdurchschnittlich lange ausgeschrieben.
Gesamtschweizerisch sind Stellen im Schnitt 43 Tage online ausgeschrieben. Die Unterschiede zwischen Branchen, Unternehmen und Regionen sind gross. So ist die durchschnittliche Vakanzdauer in der Branche „Architektur und Planung“ mit 62 Tagen deutlich höher als in der Branche der „Öffentlichen Verwaltung“ mit 29 Tagen. Auch das Baugewerbe, die Umwelttechnik, die Informatik und verschiedene MEM-Branchen (Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie) verzeichnen gemessen an der mittleren Vakanzdauer einen hohen Fachkräftemangel. Augenfällig ist, dass KMU stärker vom Fachkräftemangel betroffen sind. So ist die Stelle eines grossen Unternehmens mit mindestens 250 Beschäftigten im Schnitt 9 Tage weniger lange online als Stellen mit ähnlichem Profil von KMU. Regional zeigt sich ein Ost-West-Gefälle: Am höchsten ist die mittlere Vakanzdauer in der Zentral- und der Ostschweiz sowie im Kanton Aargau. Stellen im Kanton Glarus sind durchschnittlich 50 Tage, jene in Genf und der Waadt durchschnittlich 38 Tage online. Zwischen den Berufen sind die Unterschiede noch ausgeprägter. Eine Stelle für eine Sekretariatsfachkraft wird durchschnittlich nach 23 Tagen vom Netz genommen, jene für einen Heizungsinstallateur bleibt 76 Tage online.
Die Analyse der Vakanzdauern ermöglicht auch eine Schätzung des gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfungsverlusts basierend auf den fehlenden produktiven Arbeitsstunden. Dazu wurden nur Stellen berücksichtigt, die übermässig lange offenblieben, also länger als ein vordefinierter Durchschnittswert. Der Wertschöpfungsverlust für die Gesamtwirtschaft beläuft sich dabei auf fast fünf Milliarden Franken.
„Der Wertschöpfungsverlust von übermässig lange offenbleibenden Vakanzen beläuft sich für die Gesamtwirtschaft auf fast fünf Milliarden Franken.“
Antworten auf den Fachkräftemangel
Es stellt sich die Frage, was die Schweizer Unternehmen und die gemäss der Studie besonders betroffenen Branchen gegen den akuten Fachkräftemangel tun können. Folgende Massnahmen sind erfolgversprechend: bessere Nutzung des inländischen Arbeitskräftepotenzials, höhere Löhne, Digitalisierung und Automatisierung, Investitionen in die Weiterbildung der Mitarbeitenden, Rekrutierung im Ausland. Zudem ist die Berufslehre aufzuwerten. Während dieser sind die Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten hin zu qualifizierten Fachkräften aufzuzeigen.
Schweizer Unternehmen werden weiterhin nicht darauf verzichten können, von Rekrutierungsmöglichkeiten im Ausland Gebrauch zu machen, um ihre Personalprobleme zu lösen. Doch angesichts der emotional geführten Debatte um eine 10-Millionen-Schweiz, ist eine zunehmende Einwanderung politisch umstritten. Wo es möglich ist, werden die Unternehmen auf den technischen Fortschritt und damit auf die Digitalisierung und Automatisierung setzen, um fehlende Arbeitskräfte zu ersetzen. Der Beitrag der Politik muss darin bestehen, geeignete Rahmenbedingungen zur besseren Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials zu schaffen. Dazu gehören Massnahmen zur Förderung der Erwerbstätigkeit von Frauen und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wie beispielsweise bessere Kinderbetreuung, Abschaffung Heiratsstrafe, Förderung von Home-Office, etc. Aber auch die Beseitigung von Strukturen, die zu einer direkten oder indirekten Benachteiligung der älteren Arbeitnehmenden auf dem Arbeitsmarkt führen.
Weiterführende Informationen zum Thema Fachkräftemangel: KMU sind stärker betroffen
Die Volkswirtschaft, 08.09.2023: Diese Stellen sind besonders vom Fachkräftemangel betroffen
Staatssekretariat für Wirtschaft SECO: Fachkräftepolitik
Artikel der NZZ, 25.07.2023, R. Strahm: Das Problem mit dem Fachkräftemangel – die Schlagseite der Wirtschaft
Themenverwandt:
Pierre-Gabriel Bieri, 16.08.2023, Demographie: Segen oder Fluch?
Thomas Schaumberg, 29.08.2022, Fachkräftemangel: Zuwanderung als Teil der Lösung