- Bern, Parlament - Martin Kuonen
Umsetzung VI „Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung“: Zurück an den Absender
Der Bundesrat geht mit dem Vorentwurf zur Umsetzung der Volksinitiative „Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung“ massiv über die Forderungen der Initianten hinaus. Er missachtet damit den Volkswillen. Auch ignoriert er vom Parlament im Rahmen der Verabschiedung des Tabakproduktegesetzes demokratisch legitimierte Entscheide, die nicht mit der Initiative im Zusammenhang stehen. Dies widerspricht Verfassung, Gewaltentrennung und dem Staatsverständnis der Schweiz. Deshalb gehört der Vorentwurf für eine vollständige Überarbeitung zurück an den Absender gesandt.
Missachtung von Volkswillen und Gesetzgeber
Die Volksinitiative „Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung“ wurde am 13.02.2022 angenommen. Sie ist nun auf Gesetzesstufe umzusetzen. Am 31. August hat der Bundesrat hierzu ein Vernehmlassungsverfahren eröffnet. Die Frist für die Eingabe von Stellungnahmen dauert bis zum 30. November. Die Initiative soll mit einer Änderung des Tabakproduktegesetztes (TabPG) umgesetzt werden. Dieser Weg ist richtig. Abzulehnen und an den Absender zurückzuweisen ist hingegen der Inhalt des Vorentwurfes. Wieso?
Der Bundesrat geht in seinem Vorentwurf mit der Forderung nach einem totalen Werbeverbot weit über die Forderungen der Initiative hinaus. Das Volk hat nicht über ein totales Werbeverbot abgestimmt, sondern über den Schutz Minderjähriger vor Tabakwerbung. Trotzdem will der Bundesrat mit dem Vorentwurf ein umfassendes, undifferenziertes Totalverbot von Werbung für sämtliche Tabakprodukte und elektronische Zigaretten für alle Kommunikationskanäle einführen. Ein Totalverbot verlangten nicht einmal die Initianten! Und: Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben auch nicht darüber abgestimmt.
Das Parlament hat vor einem Jahr das neue TabPG verabschiedet. Der Bundesrat will nun aber nicht nur die Forderung der Initiative, Schutz der Minderjährigen vor Tabakwerbung, umsetzen. Er missachtet vom Parlament abschliessend diskutierte und demokratisch gefällte Entscheide, welche mit der Initiative nichts zu tun haben. Er vollzieht eine
180- Grad-Wende. Das Parlament hat z.B. während den Beratungen zum neuen TabPG eine Meldepflicht für Marketingausgaben der Produzenten und Importeure von Tabak- und Nikotinprodukten mehrmals konsequent abgelehnt. Im Vorentwurf des Bundesrates ist diese Meldepflicht nun wieder drin. Damit wird der Wille des Gesetzgebers missachtet. Die Verwaltung – konkret das BAG – verfolgt damit eigene Interessen. Dies ist nicht nachvollziehbar und widerspricht Verfassung, Gewaltentrennung und dem Staatsverständnis der Schweiz.
Im Widerspruch zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der Gesetzgeber bei der Umsetzung von Volksinitiativen bei einer Verfassungsinterpretation einem möglichst schonenden Ausgleich der verschiedenen Verfassungs- und Grundrechtsinteressen verpflichtet. Für das Bundesgericht ist eine Auslegung, die dem verfassungsrechtlichen Gesamtkontext keine Rechnung trägt und ausschliesslich den Willen der Initianten in den Vordergrund stellt, unzulässig.
Wenn also der Bundesrat als Exekutivbehörde in seinem Vorentwurf nicht nur ausschliesslich den Willen der Initianten berücksichtigt, sondern sogar darüber hinausgeht und offensichtlich eigene Interessen respektive Interessen der Verwaltung verfolgt, widerspricht dies geltender höchstrichterlicher Rechtsprechung. Die Exekutive verfolgt damit eine Art „Gesinnungsgesetzgebung“. Dies ist höchst bedenklich und demokratiepolitisch klar zu verurteilen.
Präjudiz mit gefährlicher Signalwirkung
Gemäss dem Vorentwurf des Bundesrates soll Werbung im Internet und in allen anderen elektronischen Medien sogar dann verboten werden, wenn durch geeignete Massnahmen sichergestellt wird, dass die Werbung nur durch Erwachsene einsehbar ist. Damit schafft der Bundesrat ein höchst problematisches Präjudiz, welches später auch für andere Konsumgüter eingeführt werden könnte. Die Möglichkeit, bestehende und künftige Technologien zur Altersprüfung zu nutzen, muss zwingend erhalten bleiben. Das generelle Verbot von Online-Werbung würde einen wichtigen Vertriebskanal faktisch schliessen. Dies verletzt offensichtlich die Wirtschaftsfreiheit und ignoriert vollständig, dass die Wirtschaft immer neue Innovationen hervorbringt und insbesondere einen rasanten Digitalisierungsschub erfährt.
Zudem verhält sich der Bundesrat widersprüchlich. Er behauptet im erläuternden Bericht zur Vernehmlassung, ein Totalverbot sei nötig, weil keine geeigneten Massnahmen bestünden, die sicherstellten, dass Werbung in Online-Zeitungen und -zeitschriften oder anderen digitalen Diensten nur von Erwachsenen eingesehen werden können. Derselbe Bundesrat führt aber ebenfalls am 31. August aus, dass „verlässliche Systeme zur Altersprüfung für den Online-Handel existieren und angewendet werden“. Zudem wird auch im neuen Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele das Zugänglichmachen von Filmen und Videospielen im Internet von einer Alterskontrolle abhängig gemacht. Was für den Online-Handel und für das Zugänglichmachen von Filmen und Videospielen gilt, muss auch explizit für Online-Werbung gelten. Das Verbot von Online-Werbung im Vorentwurf verletzt deshalb sowohl die Rechtsgleichheit als auch das Diskriminierungsverbot.
Der Vorentwurf ist zusammenfassend in seiner Gesamtheit abzulehnen. Dies einerseits materiell, weil er weit über den verfassungsmässigen Auftrag hinausschiesst und ein totales Werbeverbot einführt. Dies andererseits aber auch formell, weil er die gesetzgeberische Arbeit des Parlaments in wichtigen Bereichen ignoriert. Der Vorentwurf des Bundesrates scheint nicht auf der Initiative zu basieren, über welche am 13. Februar 2022 an der Urne abgestimmt wurde, sondern ideologische Ziele des BAG zu verfolgen, die aber einer Verfassungsgrundlage entbehren.
Weiterführende Informationen:
BAG, neues Tabakproduktegesetz: Teilrevision Bundesgesetz über Tabakprodukte und elektronische Zigaretten
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