- Bern - Olivier Savoy
Sicherheitspolitischer Bericht 2021: Und die praktische Umsetzung?
Der Bundesrat hat Ende April die Vernehmlassung zum Entwurf des neuen Sicherheitspolitischen Berichts eröffnet. Darin legt er die Interessen und Ziele der Schweizer Sicherheitspolitik für die nächsten Jahre fest. Einige Ansätze machen hellhörig, andere sind nicht sehr überzeugend.
Ausrichtung auf verändertem Umfeld und neuen Bedrohungen
Der Bericht enthält eine allgemeine Lagebeurteilung, die den aktuellen geopolitischen Zustand sowie das strategische Umfeld der Schweiz beschreibt. Die Sicherheitslage sei weltweit, auch in Europa, instabiler, unübersichtlicher und unberechenbarer geworden. Spannungen und machtpolitische Rivalitäten wie die verstärkte Konkurrenz der Grossmächte und aufstrebender Regionalmächte haben ebenso zugenommen wie das Risiko von Konflikten an den Rändern Europas; die Schutzwirkung des geographischen und politischen Umfelds der Schweiz hat abgenommen.
Der Einsatz von sogenannten „hybriden“ Mitteln zur Konfliktführung, wie etwa Cyberangriffe und Desinformationskampagnen – damit können und sollen Konflikte möglichst verdeckt ausgetragen werden – hat sich verstärkt. Und auch konventionelle militärische Mittel werden wieder stärker zur Verfolgung eigener Interessen eingesetzt. Während bisher bekannte terroristische Bedrohungen nicht verschwunden sind, ist in verschiedenen Ländern Europas eine Entwicklung vom gewalttätigen Extremismus in Richtung Terrorismus zu beobachten. Der Bericht geht von häufigeren und stärkeren Naturkatastrophen aus und nimmt die Herausforderungen, welche eine Pandemie, wie wir sie seit eineinhalb Jahren erleben, mit sich bringt, in die sicherheitspolitischen Überlegungen auf.
Der technologische Fortschritt geht einher mit der Entstehung einer systemischen Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Wirtschafts- und Entwicklungsmodellen und bringt zusammen mit der globalen Vernetzung neue sicherheitspolitisch relevante Akteure hervor wie globale Technologieunternehmen und Nichtregierungsorganisationen. Solche grenzübergreifende Bewegungen zeichnen sich aus durch weltweite Vernetzung, hoher Geschwindigkeit bei der Organisation und Koordination sowie Resilienz. Einige im Technologiesektor tätige Grossunternehmen verfügen in einigen Bereichen faktisch über eine Regulierungsfunktion.
Cyberangriff auch als bewaffneten Angriff verstehen
Während die Analyse eine Momentaufnahme ist, die sich rasch ändern kann, will der Bundesrat den erkennbaren Trends mit der Erreichung von neun Zielen begegnen. So sollen die Früherkennung von Bedrohungen, Gefahren und Krisen sowie die internationale Zusammenarbeit, Stabilität und Sicherheit gestärkt werden und die unverfälschte Information und Meinungsbildung frei erfolgen können. Terrorismus, gewalttätiger Extremismus und organisierte Kriminalität müssen verhindert werden und der Schutz vor Katastrophen und Notlagen solle verbessert werden.
Die sicherheitspolitischen Instrumente sollen verstärkt auf hybride Konfliktführung ausgerichtet werden, um Schutz und Widerstandskraft von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gegenüber Phänomenen wie Cyberangriffen und Desinformation zu erhöhen. Der Schutz vor Cyberbedrohungen, die als bewaffneten Angriff qualifiziert werden, wenn sie zu erheblichen Schäden an Personen und Objekten führen, soll verstärkt werden; je nach Ausmass der Bedrohung soll die Armee originär zu diesem Schutz eingesetzt werden. Auch soll eine Meldepflicht von Cyberangriffen für kritische Infrastrukturen eingeführt werden, um die Früherkennung und systematische Erfassung solcher Angriffe zu verbessern; die Erstellung und Führung einer gemeinsamen Cyberlage durch den Nachrichtendienst würden auch der Wirtschaft dienen.
Kontrolle von ausländischen Investitionen, Departementalismus im Krisenmanagement
Die Massnahmen zur Stärkung der Resilienz und Versorgungssicherheit bei internationalen Krisen lassen aufhorchen. Während die Prüfung von Abhängigkeiten bei der Versorgung mit kritischen, lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen eine logische Konsequenz aus den Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie ist und die Unterstützung der sicherheitsrelevanten Technologie- und Industriebasis stets im Rahmen der Rüstungsplanung und -politik berücksichtigt wurde, soll nun eine Verstärkung des Zugangs zu weltraumbasierten Dienstleistungen zur Kommunikation, Navigation und Erdbeobachtung angestrebt werden. Mit der Erarbeitung einer Gesetzesgrundlage für die Kontrolle von ausländischen Investitionen hingegen, die auf eine parlamentarische Motion aus dem Jahr 2018 zurückgeht und deren Vernehmlassung für die zweite Jahreshälfte 2021 vorgesehen ist, liegt eine Massnahme vor, deren Vereinbarkeit mit der Wirtschaftsfreiheit mehr als fragwürdig ist.
Nach den Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie überzeugt auch der Lösungsansatz des Bundesrates zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Behörden und des Krisenmanagements keineswegs, wenn der Massstab für das Krisenmanagement auf Stufe Bund die departementale Struktur der Regierung ist und zur Krisenbewältigung ein Departement wegen seines fachlichen Bezugs die Federführung inne haben soll. Wie soll damit „angesichts der Volatilität der Lage und der Verkettung von Bedrohungen und Gefahren die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Politikbereichen und Instrumenten in der Schweiz“ weiter verbessert werden?
Entscheidend für das Krisenmanagement muss das Ausmass der Bedrohung sein, nicht ihr fachlicher Bezug oder ihre politische Orientierung. Was seit Jahren in den kantonalen Führungsstäben funktioniert, nämlich die Gesamtkoordination der Entscheidfindungsprozesse und Ressourcenzuteilung, muss auch auf Stufe Bund zum Standard werden: eine übergeordnete, interdisziplinäre und apolitische Krisenorganisation, welche von ihrer Struktur her ein Netzwerk der verschiedensten Bereiche aus Staat, Wirtschaft und Gesellschaft abbildet.