- Bern - Philip Kristensen
Schweizer Luftfahrt: Bundeshilfe muss Grounding verhindern
Am 8. April hat der Bundesrat beschlossen, einen Vorschlag auszuarbeiten, um die von der Corona-Pandemie stark betroffene Luftfahrtindustrie der Schweiz vorübergehend mit Liquidität zu unterstützen. Die Sicherstellung der Liquidität für die Schweizer Luftfahrtbranche ist notwendig. Sie stellt eine volkswirtschaftlich kritische Infrastruktur dar.
Schweizer Luftbrücke
Die Corona-Krise trifft Flughäfen und Fluggesellschaften und ihre Dienstleister, wie z.B. die Bodenabfertigungsgesellschaften, ausgesprochen hart. An den Landesflughäfen in Zürich, Genf und Basel steht der Personen-Flugverkehr in der Corona-Krise fast vollständig still. Aber auch in dieser Lage ist es dringend notwendig, dass das System Luftfahrt ein Mindestmass an Konnektivität bietet. Dieses Minimum ist unverzichtbar für die Aufrechterhaltung von Logistikketten sowie die Versorgung der Schweiz mit existenziellen Gütern.
Mit jedem startenden Flugzeug hat das System Luftfahrt ein positives Signal ausgesandt: Im Notfall kann man sich darauf verlassen, dass eine Grundversorgung an Mobilität garantiert ist. Die vielen Rückholflüge von gestrandeten Schweizer Touristen im Ausland und der Transport der zahlreichen Tonnen von medizinischer Fracht sind der Beweis dafür. Ohne Luftfahrt verliert die Schweiz eine wichtige Säule für die Exportwirtschaft, den Tourismus und damit die Garantie von Arbeitsplätzen. Die durch den Flugverkehr direkt und indirekt ausgelöste Wertschöpfung beläuft sich jährlich auf rund 30 Milliarden Franken und betrifft ca. 190’000 Arbeitsplätze.
Dieses System steht jetzt finanziell auf der Kippe. Die Geldreserven werden knapp, weil die Ausgaben nicht stoppen, aber nur ein Bruchteil der Einnahmen fliesst. Ein Flugbetrieb und die dazu gehörende Infrastruktur lässt sich ohne Einnahmen nicht lange aufrechterhalten. Je länger dieser Zustand andauert, desto notwendiger wird staatliche Hilfe.
Ruf nach Staatshilfe
Im Vordergrund steht in dieser Situation eine staatliche Überbrückungsfinanzierung. Sie ist im Interesse der gesamten Schweiz. Ohne Hilfe des Staates werden einzelne Akteure im System Luftfahrt verschwinden – das hätte verheerende Folgen: Fehlt am Flughafen beispielsweise der Bodenabfertiger, kann Fracht nicht verarbeitet, Passagiere nicht eingecheckt und Flugzeuge nicht für den Start vorbereitet werden. Das sind alles Leistungen, die essenziell für den Betrieb sind und nicht einfach ruck-zuck nach der Krise aus dem Boden gestampft werden können. Will man die Anbindung der Schweiz für die Zeit nach der Krise sicherstellen, muss der Schweizer Luftfahrt jetzt unter die Arme gegriffen werden.
Dass der Bundesrat Massnahmen zur Sicherstellung der Liquidität prüft und an strenge Bedingungen und Auflagen knüpft, ist richtig und wichtig. So zum Beispiel, dass keine Dividenden bis zur vollständigen Tilgung der garantierten Darlehen des Bundes ausgeschüttet werden dürfen. Aber: Diese Massnahmen müssen für das Gesamtsystem Luftfahrt ins Auge gefasst werden. Eine Airline zu retten und die Systempartner wie Bodenabfertigungsbetriebe oder Luftfrachtdienstleister im Regen stehen zu lassen, ist nur die halbe Miete für eine erfolgreiche Rettung.
Kommt der Ruf nach staatlicher Hilfe aus der Luftfahrt, weckt dies zwangsläufig Erinnerungen an das Swissair-Grounding von 2001. Die Überbrückungsfinanzierung, die aktuell zur Diskussion steht, ist mit der Situation von 2001 aber in keiner Weise vergleichbar. Damals war die Swissair auf einen Schlag zahlungsunfähig, hunderte Maschinen blieben am Boden. Bund und Wirtschaft retteten die Airline später mit über drei Milliarden Franken. Wenig später wurde sie äusserst günstig an die Lufthansa verkauft. Jetzt steht aber nicht die Rettung eines Unternehmens zur Debatte, sondern der Kern des Systems Luftfahrt Schweiz, das unverschuldet in diese globale Krise geraten ist. Die in den guten Zeiten aufgebaute finanzielle Robustheit des Systems Luftfahrt Schweiz reicht nicht, um sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen.
Unsichere Zukunft der Luftfahrt nach Corona
Niemand weiss, wie sich die Erfahrungen der Unternehmen mit Videokonferenzen auf den Geschäftsreiseverkehr auswirken werden. Niemand weiss, wie schnell oder langsam die Reisebeschränkungen in allen Teilen der Welt gelockert werden und das Vertrauen der Konsumenten zurückkehrt. Unsicher ist auch, wie viele Flugzeuge es in welcher Grösse nach der Krise braucht und welche Strecken als Erstes wieder rentabel sein werden. Alle diese Unsicherheiten, gepaart mit der Tatsache, dass das System Luftfahrt Schweiz seine finanziellen Polster aufgebraucht hat, wird die Zeit nach Corona zu einer Herausforderung machen.
Aus diesem Grund braucht es jetzt Hilfe des Staates, die dem System Luftfahrt Schweiz auf den Leib geschnitten ist. Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) zusammen mit dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) und dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) erarbeiten einen Vorschlag, wie die von der Corona-Pandemie stark betroffene Luftfahrtindustrie vorübergehend mit Liquidität zu versorgen ist. Die Hilfe muss erfolgreich sein, damit es der Schweizer Luftfahrt gelingt, nach der Krise ohne unnötigen Ballast durchzustarten, um die Anbindung der Schweiz an die Welt langfristig zu gewährleisten.