- Bern - Pierre-Gabriel Bieri
Reform der Verrechnungssteuer: Für eine Schweiz betontere Finanzierung
Aufgrund der Verrechnungssteuer auf Anleiherenditen ist der Schweizer Anleihenmarkt heute unattraktiv und der ausländischen Konkurrenz ausgesetzt. Die Reform, die am 25. September zur Volksabstimmung kommt, wird diese Situation korrigieren, indem sie Unternehmen – aber auch öffentliche Körperschaften – dazu ermutigt, mehr Geld auf dem Schweizer Markt und zu besseren Konditionen aufzunehmen.
Den Schweizer Anleihenmarkt wettbewerbsfähiger machen
Bei der eidgenössischen Abstimmung am 25. September geht es um die Reform des Bundesgesetzes über die Verrechnungssteuer, die im vergangenen Dezember vom Parlament verabschiedet wurde und von der Linken mit einem Referendum bekämpft wird. Der wichtigste und umstrittenste Punkt ist die Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Erträge aus Obligationen.
Das Prinzip der Verrechnungssteuer ist allen Steuerzahlern bekannt: Zinsen auf Vermögen werden mit 35% besteuert, bis sie mit der Steuererklärung gemeldet werden; in diesem Fall wird die Verrechnungssteuer zurückerstattet. Die Reform wird an diesem Prinzip nichts ändern, aber sie wird die Erträge neuer Anleihen, die in der Schweiz ausgegeben werden, von der Verrechnungssteuer befreien, um den Schweizer Anleihenmarkt wettbewerbsfähiger gegenüber den ausländischen Märkten zu machen. Derzeit benachteiligt die Erhebung der Verrechnungssteuer, die erst nach einer Wartezeit und unter Inkaufnahme komplizierter Verfahren zurückgefordert werden kann, Schweizer Investoren und führt dazu, dass Unternehmen, die es sich leisten können, den Schweizer Kapitalmarkt meiden und ihre Anleihen über ausländische Unternehmen in anderen, günstigeren Ländern ausgeben.
Dass der Schweizer Anleihenmarkt nicht wettbewerbsfähig ist, zeigt sich daran, dass das jährliche Emissionsvolumen in den letzten zwölf Jahren um fast 57% zurückgegangen ist, während andere Märkte wie Luxemburg oder anderswo stark expandieren. Eine bessere Nutzung des Schweizer Kapitalmarktes würde daher gut bezahlte Arbeitsplätze und erhebliche Steuereinnahmen zurückbringen, die heute im Ausland verbleiben.
Eine erfolgreiche Wette auf Steuereinnahmen
Die Gegner der Reform sehen das anders. Sie befürchten, dass die Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Anleiherenditen zu einem Anstieg der Steuerhinterziehung führen wird. Sie glauben nicht an zusätzliche Steuereinnahmen und sagen stattdessen Verluste in der Grössenordnung von 800 Millionen Franken pro Jahr voraus.
Die ewige Debatte geht also weiter: Soll man das Risiko eingehen, die Steuerlast und die Kontrollmechanismen für eine Aktivität zu verringern, die man ankurbeln will und die dann mehr Steuereinnahmen bringt, oder soll man im Gegenteil „nicht locker lassen“ und das Risiko eingehen, dass die wirtschaftliche Aktivität abnimmt oder ins Ausland abwandert? Um diese Frage zu beantworten, sei daran erinnert, dass die drei Reformen der Unternehmens-besteuerung in den letzten 20 Jahren zu einem Gesamtwachstum der Steuereinnahmen des Bundes geführt haben. In der Regel zahlt sich das Vertrauen in bessere Rahmenbedingungen aus.
Zum Betrugsrisiko ist zu sagen, dass die Einnahmen aus der Verrechnungssteuer auf Anleiherenditen nur etwa 6% der Gesamteinnahmen aus der Verrechnungssteuer ausmachen und dass darüber hinaus die meisten Anleihen von Unternehmen gehalten werden, die die daraus erzielten Renditen nur schwer verbergen können, da sie zur Buchführung verpflichtet sind. Auf der Seite der Privathaushalte machen Schweizer Anleihen nur 1% ihres Gesamtvermögens aus. Das Risiko ist daher gering.
Die ganze Schweiz ist betroffen
Aus steuerlicher Sicht stellt die Reform der Verrechnungssteuer somit ein willkommenes Gegengewicht zu der von der OECD und den G20 angestrebten künftigen Mindestbesteuerung von Unternehmen dar, die die Steuerlast erhöhen und die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz entsprechend mindern wird.
Neben den steuerlichen Auswirkungen wird die Reform auch denjenigen zugute kommen, die sich bereits heute auf dem Schweizer Obligationenmarkt finanzieren – insbesondere öffentliche Körperschaften wie Bund, Kantone und Gemeinden sowie öffentlich-rechtliche Unternehmen wie Spitäler, öffentliche Verkehrsmittel oder Energieversorger. Werden sie von der Verrechnungssteuer befreit, können die ausgegebenen Anleihen einen breiteren Anlegermarkt ansprechen und vor allem zu niedrigeren Zinssätzen angeboten werden. Die betroffenen Körperschaften werden also zu günstigeren Bedingungen Geld aufnehmen können. Allein für die öffentlichen Körperschaften schätzt die Bundesverwaltung die Einsparungen auf 60 bis 200 Millionen Franken pro Jahr.
Der Anleihenmarkt mag für den Normalbürger und sogar für einige KMU-Patrons weit weg erscheinen. Die Gegner der Reform scheuen sich nicht zu behaupten, dass die Unternehmen, die auf ausländischen Märkten Kredite aufnehmen, weniger als 1% der Schweizer Unternehmen ausmachen. Aber die Interessen der kleinen und grossen Unternehmen, der öffentlichen Hand und der einfachen Steuerzahler sind immer durch ein und dasselbe Wirtschaftsgefüge miteinander verbunden. In diesem Sinne zeigen die oben dargelegten Elemente, dass die Reform der Verrechnungssteuer der gesamten Schweiz zugute kommen wird. Ein JA ist daher zwingend erforderlich.
Weiterführende Informationen:
Bericht der ESTV: Aktualisierung der finanziellen Auswirkungen 21.024 Verrechnungssteuergesetz. Stärkung des Fremdkapitalmarkts
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