- Bern - Martin Kuonen
Pflegeinitiative: NEIN zur Verfassungsänderung, JA zu einem sinnvollen Gegenvorschlag
Das Mittel der Volksinitiative verfolgt den Zweck, wichtige gesellschaftliche Fragen durch die Bürger direkt in die Politik einzubringen. Weil das Volk aber nur eine Änderung auf Verfassungsebene erwirken kann, ist für die Umsetzung des Anliegens ein indirekter Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe meist die bessere Lösung. Dies gilt auch für die aktuell in der Vernehmlassung stehende Initiative „Für eine starke Pflege“.
Inflationäre Anzahl an Volksinitiativen
Besonders in Zeiten des Wahlkampfs sind Volksinitiativen zu einem beliebten Mittel für die (Partei-)Werbung geworden. Derzeit sind 15 Volksinitiativen im Sammelstadium und weitere 13 bei Bundesrat oder Parlament hängig. Das ist mehr als insgesamt in den Jahren 1893 bis 1930 behandelt wurden. Während die demokratische Mitbestimmung des Volkes sehr wichtig ist und nicht gebremst werden sollte, würde man sich von den Parteien etwas mehr Zurückhaltung wünschen. Es kann ja nicht sein, dass dieses sinnvolle Mitspracherecht von Herr und Frau Schweizer zu einem Marketingmittel der politischen Parteien verkommt.
Die hier vertieft beleuchtete Volksinitiative „Für eine starke Pflege“ ist tatsächlich breit im Volk abgestützt. Innerhalb von weniger als zehn Monaten wurden über 114‘000 gültige Unterschriften gesammelt und eingereicht. Zwar steht hinter dieser Pflegeinitiative mit dem Berufsverband der Pflegenden (SBK) auch eine Interessenvertreterin, welche aber mit ihrem Anliegen auf grossen Rückhalt in der Bevölkerung zählen kann. Dies ist verständlich: Angesichts der Demografie, des zunehmenden Pflegebedarfs und des Mangels an Fachpersonal ist eine Steigerung der Attraktivität von Gesundheitsberufen dringend nötig.
Der Inhalt der Pflegeinitiative
Weil die Unterschriftensammlung so erfolgreich verlaufen ist, sind Bundesrat und Parlament herausgefordert. Im Hinblick auf eine mögliche Abstimmung müssen sie die Anliegen ernst nehmen. Inhaltlich lassen sich die Forderungen wie folgt zusammenfassen: Pflegende sollen mehr Kompetenzen erhalten, Bund und Kantone sollen die Aus- und Weiterbildung besser finanzieren und die Gesundheitsbetriebe müssen eine genügende Anzahl diplomierter Pflegefachpersonen einsetzen, welche ihrerseits bessere Arbeitsbedingungen erhalten sollen.
Diese Anliegen sind kaum geeignet, um Eingang in die Bundesverfassung zu finden. Soweit sie berechtigt und demokratisch erwünscht sind, sollten sie vielmehr auf Gesetzesstufe geregelt werden. Es kann nicht sein, dass nach dem „Unfall“ bei den Hausärzten nun auch die Pflegenden einen eigenen Artikel in die Verfassung schreiben; sonst könnte eine beliebige Anzahl weiterer Berufsgruppen ein genauso berechtigtes Interesse anmelden. Deshalb ist sehr zu begrüssen, dass im Parlament der Entscheid getroffen wurde, einen Gegenvorschlag auszuarbeiten.
Der Inhalt des Gegenvorschlags
Dieser indirekte Gegenvorschlag befindet sich derzeit in der Vernehmlassung. Er sieht in erster Linie zusätzliche Gelder des Bundes für die Förderung von Aus- und Weiterbildungen vor. Damit soll die Abhängigkeit der Schweiz von ausländischem Pflegepersonal reduziert und die eigene Berufsbildung gestärkt werden. Dabei ist positiv zu vermerken, dass der Bund für einmal die Kompetenz der Kantone weitgehend respektiert und diesen die konkrete Umsetzung überlassen will.
Weitere auf den ersten Blick sinnvolle Inhalte des Gegenvorschlags sind etwa die Anerkennung der Ausbildungskosten für Pflegepersonal als Teil der Pflegekosten und die Stärkung der Verantwortung von tertiär ausgebildeten Pflegenden. Weniger Begeisterung lösen zwei Minderheitsanträge aus. Einerseits wird die Einführung einer Pflicht zum Anschluss an einen Gesamtarbeitsvertrag diskutiert, was eine erstmalige Abkehr von den heute freiwilligen sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen und Ergebnisse darstellen würde. Andererseits will die gleiche Minderheit der Gesundheitskommission eine verpflichtende „Nurse-Patient-Ratio“, welche für jeden Betrieb oder sogar jede Abteilung die Anzahl und Ausbildung des einzusetzenden Personals genau vorschreibt. Dies würde die Flexibilität der Betriebe stark einschränken, welche ohne solche Vorgabe viel besser auf den individuellenPflegebedarf der Patienten einzugehen und das Personal gemäss seinen persönlichen Fähigkeiten (und nicht nur dem Ausbildungsstand) einsetzen können.
Weil die Pflegeinitiative beim Volk durchaus gut angekommen ist und deren Annahme in einer Abstimmung zur Verankerung einer (weiteren) Berufsgruppe in der Bundesverfassung führen würde, erscheint die Verabschiedung eines Gegenentwurfs durch das Parlament als richtiger Weg. Dabei darf aber das Fuder nicht überladen werden, indem unnötig in die Kompetenz der Kantone und der Betriebe eingegriffen wird. Letztlich ist gerade das Gesundheitswesen ein wirtschaftliches Zukunftsfeld für die Schweiz: In dieser weltweit immer wichtiger werdenden Branche sollten wir den Nachwuchs fördern, unser Fachwissen vertiefen und eine Führungsrolle behalten – im Wissen, dass die Betriebe selbst ohne grosse politische Vorgaben am besten wirtschaften können.