- Bern - Martin Troxler
3-Phasen-Modell des Bundesrats – viel Luft nach oben
Das am 21. April 2021 durch den Bundesrat konkretisierte 3-Phasen-Modell stellt einen willkommenen, wenn auch überfälligen Fahrplan im Umgang mit COVID-19 dar. Bei den definierten Zeitintervallen zwischen den Phasen und der ihnen innewohnenden Logik sehen wir jedoch erhebliches Verbesserungspotential. Zudem erachten wir es als wichtig, die Stimme der Wirtschaft und die parlamentarische Kontrolle im Krisenmanagement zu stärken.
Das Modell: Lockerung der Richtwerte bei steigender Impfquote
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 21. April 2021 seine Strategie für die kommenden Monate und die Eckwerte des im März vorgestellten 3-Phasen-Modells für den Umgang mit COVID-19 konkretisiert und bei den Kantonen und den Sozialpartnern in die Vernehmlassung geschickt.
Die Phase 1 (Schutzphase) gilt bis zum Zeitpunkt, an dem alle impfwilligen Personen aus Risikogruppen vollständig geimpft sind, was per Ende Mai erwartet wird. Begleitende strenge Massnahmen und repetitives Testen asymptomatischer Personen sollen einen unkontrollierten Anstieg der Fallzahlen verhindern. Zur Beurteilung, ob die Situation aus dem Ruder läuft und der Rückwärtsgang in der Gestalt von neuerlichen Verschärfungen der Massnahmen eingelegt werden müsste, hat der Bundesrat verschiedene Richtwerte definiert. Im Zentrum steht dabei die 14-Tage-Inzidenz, welche auf 450 Neuinfektionen pro 100’000 Einwohner festgelegt worden ist. Als weitere Grenzwerte wurden die Belegung der Intensivbetten (< 300 Betten), der 7-Tages-Schnitt der Reproduktionszahl (< 1.15) und die Hospitalisierungen im 7-Tages-Schnitt (< 120) bestimmt.
Die nachfolgende Phase 2 (Stabilisierungsphase) dauert bis zum Zeitpunkt, an dem sämtliche impfwilligen Personen (60% der Bevölkerung, wie aus Umfragen hervorgeht) zwei Impfdosen erhalten haben, was laut Plan Ende Juli der Fall sein sollte. Die Richtwerte sollen dabei bis auf die 14-Tage-Inzidenz (neu: 600 Neuinfektionen pro Tag) unverändert bleiben. Während der Phase 2 sind weitere Lockerungen denkbar, als frühester Zeitpunkt wird dabei der 26. Mai angegeben. In der Phase 3 (Normalisierungsphase), wenn alle impfwilligen Personen geimpft sind, sollen die verbleibenden Massnahmen schrittweise aufgehoben werden.
Eine zu eindimensionale Sicht der Dinge
Das Centre Patronal hat in seiner Vernehmlassungsantwort vom 27. April seine Bedenken zum vorgestellten 3-Phasen-Modell artikuliert und kritisiert, dass dieses viele Fragen aufwirft und vorgibt, einen Prozess stringent planen zu können, dem in Wirklichkeit grosse Ermessensspielräume innewohnen, da viele Parameter unklar bleiben.
Phase 1 richtet sich zu einseitig nach sicherheitstechnischen und medizinischen Überlegungen aus und wir vermissen eine Interessensabwägung zwischen gesundheitspolitischen Zielen und anderen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens (wirtschaftliche, kulturelle oder sportliche Aktivitäten). Die Rechtfertigung für die Schutzmassnahmen bestand immer darin, die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems zu erhalten. Die ausgewählten Indikatoren befinden sich zudem zum Teil in einem Abwärtstrend und lagen per 29. April deutlich unter den Grenzwerten. So betrug die 14-Tage-Inzidenz 310 Fälle (Grenzwert: 450), die Belegung der Intensivbetten 253 (Grenzwert: 300), der 7-Tages-Schnitt der Reproduktionszahl 0.98 (Grenzwert: 1.15) und der Wert für den 7-Tages-Schnitt der Hospitalisierungen 56 (Grenzwert: 120). Wieso also bis zum 26. Mai zuwarten mit weiteren Lockerungsschritten?
Die Eckwerte für Phase 2 scheinen plausibel, auch wenn wir bei der Massgrösse «Belegung der Intensivbetten» ein Fragezeichen anbringen, da die Anzahl Intensivbetten in der Schweiz seit Anfang Jahr um über 10% abgenommen hat. Diese Entwicklung gilt es unbedingt zu stoppen. Die Länge der Phase 2 steht in direkter Funktion zum Fortschritt der Impfkampagne (welche wiederum von zahlreichen beinflussbaren endogenen und exogenen Faktoren abhängt) sowie der Impfbereitschaft. Der Staat muss unbedingt ausreichend Ressourcen zur Verfügung stellen, um möglichst schnell eine hohe Impfquote zu erzielen.
Ein überfälliger Schritt mit einigem Verbesserungspotential
Mit dem Modell wurde ein nachvollziehbarer Fahrplan für eine schrittweise Aufhebung der Schutzmassnahmen vorgestellt. Dies ist ein grundsätzlich zu begrüssender, wenn auch überfälliger Schritt in die richtige Richtung, der uns dabei hilft, die Planbarkeit unserer wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten wieder etwas zu normalisieren.
Wir beurteilen den Fahrplan aber als zu zögerlich und zu wenig ambitioniert, insbesondere die zu langsamen Phasenübergange und die mangelnde Flexibilität in Phase 1. Der kontinuierliche Impffortschritt sollte Anlass dazu bieten, zusätzliche Öffnungsschritte schneller zu prüfen und zweiwöchentlich eine neue Lagebeurteilung vorzunehmen, so dass bereits vor dem 26. Mai weitere Entscheidungen getroffen werden können.
Was die in Phase 2 geplanten Massnahmen betrifft, ist es notwendig, dass die Home-Office Pflicht wieder auf eine Empfehlung zurückgestuft wird. Die Testoffensive ist im Grundsatz zu begrüssen, doch darf dies nicht zu einem einseitigen Paradigmawechsel von der Logik der Schutzmassnahmen zu einer reinen Screening-Logik führen, zumal sich die aufwändig erstellten Schutzkonzepte der verschiedenen Branchen bewährt haben. Zudem regen wir an, die Öffnung der Innenräume von Restaurants, vorbehältlich der Einhaltung der Schutzkonzepte, vor dem 26. Mai zu ermöglichen und den Kantonen zu gestatten, bei günstigen epidemiologischen Kennzahlen schnellere Öffnungsschritte vorzunehmen.
Wir sprechen uns zudem dafür aus, die Koordination zwischen Bundesbehörden und den Wirtschaftsverbänden und deren Einbezug zu stärken, eine gemeinsame Taskforce zwischen BAG und Seco zu bilden, einen thematischen Parlamentsausschuss zur Kontrolle und Überwachung der Massnahmen auf Bundesebene ins Leben zu rufen und klare Kommunikationsregeln für die verschiedenen für das Krisenmanagement zuständigen Stellen zu definieren.